Die EU verhandelt über eine weitreichende Deregulierung neuer genomischer Techniken in der Pflanzenzucht – und Deutschland steht ohne klare Position da. Während die dänische Ratspräsidentschaft drängt, wächst die Sorge, dass zentrale Schutzinstrumente für Landwirtschaft, Imkerei und Umwelt übergangen werden.
Die Verhandlungen über die Deregulierung neuer genomischer Techniken (NGT) treten in Brüssel in eine entscheidende Phase ein. Am 3. Dezember steht das nächste Trilog-Treffen an. Doch aus Berlin kommt bislang kein eindeutiges Bild: Drei Bundestagsausschüsse tagten in Sondersitzungen, in denen sich die Bundesregierung hinsichtlich ihrer Haltung sogar widersprach.
Uneinigkeit in Berlin
Die Gespräche im Agrar-, Umwelt- und Europarechtsausschuss verdeutlichten vor allem eines: Die Bundesregierung ist in der Frage der neuen Gentechnik gespalten. Während das Landwirtschaftsministerium Chancen betont, verweist das Umweltministerium auf offene Risiken. Die Teilnahme des Bundesamtes für Naturschutz wurde kurzfristig abgesagt – obwohl es erst vor Kurzem erneut bekräftigte, dass auch punktuelle Genomveränderungen durch NGTs ökologische Risiken bergen können.
Aus Sicht des Umweltministeriums braucht eine EU-Regelung drei Mindeststandards: eine fallspezifische Risikobewertung, eine verlässliche Kennzeichnung und die Einhaltung des Vorsorgeprinzips. Bleibt es bei dieser Position, dürfte Deutschland sich im Rat enthalten müssen.
Die politische Gemengelage in Deutschland
Hinter den Kulissen scheint folgende konplexe Lage zu herrschen:
- Das Landwirtschaftsministerium sieht sich als Vermittler, unterstützt grundsätzlich Kennzeichnung und ist gegen Patente, will aber eine Ratszustimmung nicht blockieren.
- Das Umweltministerium teilt viele der kritischen Positionen, steht aber mit dieser Haltung häufig allein.
- Das Justizministerium ist für Patente – trotz der politischen Debatte um deren Folgen für Züchtung und Vielfalt.
- Das Wirtschaftsministerium macht Druck in Richtung Zustimmung und erhält Rückhalt aus dem Kanzleramt.
- Das Auswärtige Amt lehnt eine Enthaltung ab, was de facto auf eine Zustimmung hinauslaufen würde.
Ob eine Mehrheit im Rat ohne Deutschland möglich wäre, ist unklar.
Koalition für Deregulierung im Parlament?
Die dänische Ratspräsidentschaft drängt sichtbar auf einen Abschluss, doch bei den strittigen Punkten schlägt sie kaum Kompromisse vor. Der nächste Streitpunkt am 3. Dezember ist die Kennzeichnung: Das Parlament will NGT-1-Produkte eindeutig ausweisen und rückverfolgbar machen. Die Mehrheit sprach sich zudem für ein Patentverbot aus, damit genetische Ressourcen nicht monopolisiert werden. Der Rat hingegen pocht auf Patentierbarkeit.
Allerdings beginnt sich im Parlament eine Koalition der konservativen Fraktion mit den rechten Fraktionen zu bilden. Die rechten Fraktionen, darunter die deutschen AfD-Politiker, sind für die Deregulierung und wollen die Ratsposition durchwinken. Sie stehen gegen Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit, Wahlfreiheit und verpflichtende Risikoprüfung und sprechen sich für die Patentierbarkeit von gentechnisch veränderten Pflanzen aus.
Unsere Forderungen
Der aktuelle Gesetzesentwurf lässt zentrale Schutzinstrumente außen vor. Abgesehen davon, dass die Unterscheidung in NGT-1-Pflanzen und NGT-2-Pflanzen wissenschaftlich nicht haltbar ist und gegen das Cartagena-Protokoll verstößt, fehlen aus fachlicher Sicht:
- Kennzeichnung von NGT-1-Pflanzen und daraus entstandenen Produkten, damit Verbraucherinnen und Verbraucher informiert entscheiden können.
- Koexistenz- und Haftungsregeln, damit gentechnikfreie Produktion – ökologisch wie konventionell – möglich bleibt.
- Risikoprüfung, die Umwelt, Bienen und Biodiversität schützt.
- Ein Verbot von Patenten, um die Nutzung genetischer Ressourcen nicht in die Hand weniger Konzerne zu legen.
- Nachweisverfahren, die Transparenz und Vertrauen sichern.
Ohne diese Bausteine würden die bisherigen Gentechnikregeln ausgehöhlt. Die Folgen träfen Landwirtschaft, Imkerei und Lebensmittelwirtschaft gleichermaßen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, diese Positionen im Ministerrat klar zu verteidigen!
Ein Blick nach Dänemark
Interessant ist die aktuelle Einschätzung des dänischen Ethikrats – vor allem da Dänemark aktuell die Ratspräsidentschaft innehält: Zwölf der Ratsmitglieder empfehlen, dass Genomsequenzen aus NGT-1-Pflanzen nicht patentierbar sein sollten – weil sie natürlichen Varianten entsprechen und weil Patente die Züchtung behindern könnten. Nur vier Mitglieder sprechen sich für Patentierbarkeit aus, allerdings auch nur unter bestimmten Bedingungen.
Was jetzt zählt
Die kommenden Wochen entscheiden darüber, wie Europa künftig mit neuen genomischen Techniken in der Pflanzenzucht umgeht. Ob Vorsorgeprinzip, Transparenz und Wahlfreiheit erhalten bleiben, hängt auch davon ab, ob sich die Bundesregierung auf eine eindeutige Linie einigen kann – und ob der europäische Gesetzgeber Raum für Schutzmechanismen lässt.
